Boris Mlosch hat den Taufstein der ref. Kirchgemeinde Niederlenz aus Cristallina Marmor aus Peccia (Maggiatal) zum 50jährigen Jubiläum der Kirche Niederlenz im Auftrag der Ortsbürgergemeinde geschaffen: Einen ungewöhnlichen Taufstein von einem ungewöhnlichen Künstler. Der grosse Marmorblock ruht auf drei schwarzen Säulen, die auf einen fahrbaren Sockel montiert sind.
Mlosch ist kein Steinmetz, der eine fixe, womöglich traditionelle Form eines Taufsteins aus dem Marmor schlägt. Er geht vielmehr von der Beschaffenheit des ausgewählten Marmorblocks aus, von seiner Struktur, seiner Zeichnung, im Fachjargon gesprochen: von seiner Textur. Das ergibt grosszügig weich fliessende Formen, Rundungen und eine Mulde, in die das Taufwasser gegossen wird. Doch Mloschs Formwille ist stark genug, dem Stein auch prägnante Konturen zu geben, um eine tischartige runde Fläche zu bilden, auf die z.B. rituale oder profane Gegenstände gestellt werden können.
Ein weiteres Gestaltungselement charakterisiert die Form-Sprache von Mlosch. Ich meine die irritierende Stellen, wo der Marmor wie auf- oder abgebrochen wirkt, ähnlich den in der realen Gebirgswelt auftretenden Felsformationen. Mlosch will aus diesem Taufstein kein formvollendetes, makelloses Gebilde machen. Mlosch lässt bewusst das Nicht-fertige, das Nicht-vollendete, das ‚non finito‘ zu und führt damit die skulpturale Ausdrucksform von Michelangelo weiter, die für seine damaligen Zeitgenossen sehr befremdend war: eine Skulptur nicht fertig zu machen oder ihre Oberfläche nicht auf Hochglanz zu polieren und dennoch den Anspruch geltend zu machen, ein Kunstwerk geschaffen zu haben.
Den beschriebenen Charakteristika des Taufsteins kommt eine über sich hinausweisende Bedeutung zu: die Hinwendung zu neuen Gestaltungsformen nicht nur des sakralen Gegenstandes, sondern auch der sakralen Handlung selber, denn wirkliche Kunst ist nicht nur Ausdruck der Zeit seiner Entstehung, sondern auch der Zukunft.
Die weichen, fast weiblichen Formen und deren samtene Oberflächenbehandlung dieses Taufsteins wenden sich ab von den durch Jahrhunderte männlich geprägten Ritualen der christlichen Kirchen: Abendmahl, Taufe, Weihung. Im Alten Testament haben nur Männer andere Männer gesalbt; d.h. gekrönt; auch im Neuen Testament sind es die Männer, die tauften. Mlosch setzt mit diesem Taufstein deutliche andere Signale. Jedes wahre Kunstwerk ermöglicht neue Dimensionen des Denkens und Fühlens, sogar kirchliche Rituale können neu gedacht werden.
Bemerkenswert ist, dass Boris Mlosch das Wort ‚Taufstein‘ ernstgenommen hat. Er hat nicht irgendein Gebilde aus Stein gemacht, sondern aus dem Marmorblock einen naturnahen Stein geformt: einen Tauf-Stein.
Der Bildhauer, Maler und Grafiker Boris Mlosch ist im Dezember 2014 erst 60-jährig gestorben. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Niederlenz.
Matthias Dieterle, Aarau, März 2015